Lars Wernecke
Intendant Theaterregisseur Theaterautor

2016 Il Barbiere di Seviglia


Il barbiere di Siviglia (Der Barbier von Sevilla)

Komische Oper von Gioacchino Rossini

Musikalische Leitung: Stefano Seghedoni
Inszenierung: Lars Wernecke (Regie),
Bühne & Kostüme: Helge Ullmann

Mit Siyabonga Maqungo, Dae-Hee Shin, Marián Krejčik, Carolina Krogius/Elif Aytekin, Mikko Järviluoto, Monika Reinhard/Sonja Freitag, Sang-Seon Won, Herrenchor des Meininger Theaters, Meininger Hofkapelle









(c) Fotos: Marie Liebig
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Pressestimmen

„Was soll denn das?“, fragt die alte Dame neben mir, als sich ein auffällig gekleidetes Männchen an allerlei Gerätschaften in einem verwahrlosten Frisörsalon am Rand der Vorbühne des Meininger Theaters zu schaffen macht. Sie rümpft die Nase, als sich dieser schräge Vogel auch noch einseift, während aus dem Orchestergraben die Klänge der Ouvertüre von Rossinis Oper „Der Barbier von Sevilla“ in den Raum steigen. „Das ist das Aufwärmtraining“, flüstere ich der Nachbarin zu. „Irgendwo muss sich Figaro ja auf sein universales Dienstleistungsgewerbe vorbereiten.“ Ganz zufrieden scheint die Lady mit der Antwort nicht, aber dann entspannen sich ihre Gesichtszüge. Das ist meist so, wenn ein Freund der italienischen Oper durch dramaturgische Pfiffigkeiten irritiert wird und erst wieder aufatmet, wenn Figaros Bass die Seele erschüttert, Graf Almavivas Tenor vor Inbrunst vibriert, sich der eifersüchtige Don Bartolo ständig um sich selbst dreht und die Koloraturen der Rosina wie tirilierende Haubenlerchen über uns flattern. An der Güte dieser und anderer Meininger Charakterstimmen ist seit langem nicht zu zweifeln. Ein wohltönendes und – auch schauspielerisch – passioniertes Gesangsensemble ist da am Werk, einsam, gemeinsam und auf den Flügeln der Meininger Hofkapelle.
In Lars Werneckes Inszenierung zum 200. Geburtstag der Oper leitet Gastdirigent Stefano Seghedoni das Orchester, und es scheint tatsächlich so, dass die sanften Gewalten aus Rossinis Klanguniversum die Sänger in ihrer Kunst beflügeln, freundlich unterstützt von Fiona Macleod als Rezitativbegleiterin am Cembalo. Figaro, der schräge Vogel mit der großen Stimme/Klappe ist Dae-Hee Shin, der Graf der junge schwarze Tenor Siyabonga Maqungo, das langhaarige Elend Don Bartolo rotiert in Gestalt von Marián Krejcík und in die farbenfrohen Gewänder der Rosina schlüpft in der Freitagspremiere Carolina Krogius. Eine Freude, mit welch reiner, klarer, kräftiger Stimme sie ihre Figur zum Leben erweckt und sich dazu noch überaus kokett durch die Szene bewegt. Einige markante Nebenrollen, wie Monika Reinhard (alternierend mit Sonja Freitag) als Berta und Mikko Järviluoto als Basilio, sind so etwas wie i-Tüpfelchen auf den Ereignissen, ebenso der gut getaktete Herrenchor unter Leitung von Martin Wettges. All das führt dazu, dass das Publikum nicht nur ein Fest italienischer Stimmen (mit Übertitelung) hört, sondern auch eine heiter-turbulente Handlung sieht.
Lars Werneckes Inszenierungen zerbröseln keine Geschichten und achten die Figuren. Gerade deshalb kommt das Komödiantische oft sympathisch leicht-sinnig daher. Und wenn einem dann Rossini und sein gewitzter Librettist Cesare Sterbini eine Kostbarkeit in die Hände legen, die förmlich nach Fantasie und Augenzwinkern schreit – ja, dann kann man doch nicht anders als zugreifen. Der Vorhang geht auf, man reibt sich die Augen und wähnt sich an einem Ort, an dem sich auch Alice im Wunderland wohlfühlen würde: Ausstatter Helge Ullmann hat gigantische Schränke an den Seiten platziert, aus denen die Figuren wie aus einer Spielzeugkiste auftauchen und wieder verschwinden. Mittig steht Rosinas Balkon auf erhöhter Plattform, die sich, nach Drehung, zu einem überdimensionalen Lehnstuhl wandelt, der gleichzeitig Kemenate ist. Und wenn man dann noch die bunten Karnevalskostüme sieht oder die Instrumente von Almavivas Musikanten – die nichts anderes sind als Barbier-Accessoires –, spätestens dann reift die Einsicht: bitte nicht alles ernstnehmen – nicht einmal diese Liebe. Wir befinden uns in einer Welt zwischen Commedia dell'arte, Wunderland und einem von Marionetten belebten Paralleluniversum. Die Figuren bewegen sich so gestenreich, als würde ihnen die Musik unter die Arme greifen und sie beschwingen. Unwillkürlich sucht man die Fäden, an denen die Marionetten hängen. Wer also diese Opera buffa als lustvollen ironischen Blick auf ein banales, aber heiter-chaotisches Liebesspektakel begreift, der wird seine helle Freude haben. Und die alte Dame? Auch sie klatscht am Ende heftig. [...]

Auszug aus der Main-Post von Siggi Seuß am 16.10.2016

In Sevilla gibt es einen Stadtteil namens „La Macarena“. In deiner Inszenierung kommt auch Macarena vor: der Partytanz aus den frühen 1990ern. Wie passt das mit Rossinis Musik zusammen?
In meiner Inszenierung des Barbiers von Sevilla sieht man einige Zitate von Modetänzen der letzten Jahrzehnte. Zum einen hat auch Rossini eine Oper mit wahrhaften Hits geschrieben, die Texte werden mitunter ebenso wie in modernen Popsongs mehrfach wiederholt, die eingängige Musik geradezu fernab jeder Handlungslogik abgefeiert. Das tun dann auch meine Commedia-dell‘-arte-ähnlichen Figuren der Oper. Immer wenn die Sänger Textwiederholungen singen, beginnen sie ihre Körper der Musik entsprechend in Wallung zu bringen und sich pur in der Musik zu suhlen. Zum anderen ist „La Macarena“ ein Lied, in dem es um eine Frau geht, die den Männern den Kopf verdreht. Und das tut die weibliche Hauptfigur Rosina hier auch. Ein weiteres Zitat in meiner Inszenierung ist der bekannte Hit „Gangnam Style“, ein parodistisches Lied über die Lächerlichkeit, so zu tun, als gehöre man der Luxusschicht an. Auch im Barbier versuchen alle Figuren sich als etwas Besseres darzustellen als sie tatsächlich sind.
Es gibt im „Barbier“ diese besonders witzige Stelle, wenn Figaro, Rosina und Graf Almaviva eigentlich schnellstmöglich einen Plan finden müssen, um ihre Flucht zu vollziehen, nachdem die Leiter vom Balkon verschwunden ist und sich Bartolos Rückkehr ankündigt. An diesem Punkt höchster Spannung stimmen die drei aber erstmal „Zitti, zitti, piano, piano“ an und singen minutenlang ihre Nummer. Was soll das?
Wenn man es wirklich genau betrachtet, ist dieser Rossini-Hit ein wirklich urkomisches Terzett. Was gibt es Absurderes, als bei der Flucht in Endlosschleife zu singen: „Leise, leise, schnell fort von hier.“ Keine logische Handlung kann das ernsthaft untermauern, es braucht die Überhöhung. Zu den Bewegungen des „Saturday Night Fever“, in dem es um das Sich-Treiben-Lassen durch heiße Musik geht, genießen die Bühnenfiguren diesen musikalischen Hochgenuss in Form einer illustren, bewegten Handlungspause.
Die Figuren im „Barbier“ geben alle vor, jemand anderes zu sein als sie selbst. Wie hast du das szenisch gelöst? Siehst du auch Parallelen zu unserer heutigen Gesellschaft?
In meiner Inszenierung handeln keine psychologisch durchwobenen Figuren sondern wie in der Commedia dell‘ arte, dessen Stil auch die Grundlage von Beaumarchais Schauspiel ist, schillernde Charaktertypen. Sie sind durch klare plakative Eigenschaften geprägt, die in demonstrativem Spiel gezeigt werden. Eines haben fast alle gemeinsam: Sie handeln aus Geldgier und immer in ureigenem Interesse. Um dieses zu verdeutlichen, gibt es zum Beispiel während der Ouvertüre ein kleines Vorspiel: Ein wahrer Spitzbube findet einen verlassenen Frisiersalon. Um Geld zu verdienen, verwandelt er sich in den Figaro, der dann vorgibt, der tollste Frisör der Stadt zu sein. Er erzählt auch in der Oper, dass er schon mit allerhand Jobs sein Auskommen zu sichern versucht hat, unter anderem als Tierarzt und Botaniker. Besonders deutlich wird die ständige Maskerade beim Grafen Almaviva, der im ganzen Stück kostümiert ist, um nicht erkannt zu werden, und sich erst ganz am Ende als Graf entpuppt. Und wenn man so will, verbirgt sich doch auch heute hinter jedem Wichtigtuer nichts weiter als ein ganz normaler fehlbarer Mensch.
Dank Mozart wissen wir alle, dass die Ehe von Almaviva und Rosina nach dem Happy End des „Barbiers“ keinen glücklichen Fortgang hatte. Was denkst du über die Liebesbeziehung der beiden?
Rosinas Hauptanliegen ist es zunächst, aus den Fängen des Vormunds Bartolo zu entkommen. Dass der als Lindoro inkognito auftretende Graf so schön vor dem Balkon zu singen vermag, macht die Sache in erster Linie nur angenehmer. Almaviva ist als Schürzenjäger verschrien, Rosina will mit ihm nichts zu tun haben; aber am Ende verliebt sie sich dann doch spontan, als sie die herrliche Pracht des Grafen zu Gesicht bekommt. Der Graf selber ist wahrlich kein Kostverächter. Dass er Rosina in Madrid gesehen hat und sie bislang nicht erreichen und verführen konnte, wurmt ihn und bringt ihn in zu dem Überschwang, diese Frau erobern und heiraten zu wollen. Es ist also kein Wunder, dass die Ehe bei Mozarts „Figaros Hochzeit“, basierend auf Beaumarchais zweitem Teil der Figaro-Trilogie, so verzwickt wird.
Was erwartet das Publikum beim Besuch deines „Barbiers“?
Den Zuschauern kann ich nur empfehlen: Schnallen Sie sich an, genießen sie die musikalische Herrlichkeit und das bunte Treiben, das man niemals allzu ernst nehmen und in seiner turbulenten Absurdität einfach nur aufsaugen sollte. Der clowneske Spaß zeigt, Oper muss nicht immer nur bierernst und grüblerisch sein, Rossinis Barbier ist Unterhaltung pur gespickt mit ironischem und geistreichem Witz und einer großen Portion Tollerei.

Interview mit Lars Wernecke im Spektakel 1.2017

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